JOIDES Resolution (genaue Lage 2°46.22'N, 110°34.31W) 10.2.2002, 4:05 Uhr



2. Bericht

Ihr Lieben,

gerade kam die Nachricht, das Kern Nummer 29 leer nach oben gekommen ist. Es wird weitere 2 Stunden dauern, bis der nächste kommt. Das gibt mir Zeit, einen zweiten Bericht zu verfassen.

Wir sind nun schon 10 Tage auf dem Wasser. Die erste Woche verging mit dem Transit zu unserer ersten Station. Unterwegs waren wir heftig damit beschäftigt, die Labors einzurichten, alle möglichen Medien und Gefäße vorzubereiten und die genauen Probenahmepläne zu erstellen. Außerdem musste man sich auf die Schicht umstellen, in meinem Fall von 0 Uhr bis mittags. Last not least wurde der wissenschaftliche Fahrtbericht geschrieben. Der mikrobiologische Teil hat schon über siebzig Seiten, die sofort nach der Fahrt veröffentlicht werden sollen und anderen Fahrten als Leitfaden dienen können. Wir haben nämlich alle Methoden und geplanten Versuche aufgeschrieben und abgestimmt.

Es ist wohl so, dass noch zu keiner Fahrt so viele Nachfragen aus aller Welt zu Proben kamen wie zur Fahrt 201. Ich selbst will ja nur 32 Proben aufarbeiten und mit nach Hause nehmen (daraus werden dann mehr als 6000 Wachstumsversuche). Aber wir müssen aus jedem 2. Kern (jeweils 9.5 m lang) allein für die Mikrobiologie und Molekularbiologie bis zu 16 verschiedene Probenansprüche erfüllen, großenteils aseptisch, oft auch noch anoxisch. Dazu stehen wir zu viert in einem Kühlraum bei 4 °C. Derzeit brauchen wir für jeden Kern noch eine Stunde. Demnächst, wenn das Wasser nicht mehr 3600 m tief ist wie hier, werden aber alle 20 Minuten neue Kerne erwartent... Insgesamt werden hier über 100 verschiedene chemische und physikalische Parameter gemessen, vom Sulfatgehalt über die Temperatur bis zur Wasserstoffproduktion.

Man könnte vielleicht denken, dass an der Station der Lärmpegel ewas sinkt. Dem ist aber nicht so. Es arbeiten nämlich bis zu zwölf Düsen daran, das Schiff genau über der Position zu halten. Außerdem gibt es einen Hubkompensator, der Wellenhöhen ausgleicht. Außerdem macht die Bohrapparatur Lärm. Immerhin hängen daran bis zu 80 Tonnen (mehrere Lastwagen) Gewicht. Auch die Schiffsbewegung ist unangenehmer als während der Fahrt. Es gibt nämlich kein harmonisches Auf und Ab mehr sondern eher ruckartige Bewegungen. Wir werden wohl noch zwei Tage hier liegen, bevor es weiter geht.

Während der ganzen Zeit hat man wenig Zeit, sich damit zu beschäftigen, wo man eigentlich ist. Man merkt es nur, wenn man die klimatisierten Räume verlässt. Es schlägt einem feuchtwarme Luft entgegen, die einem auch nachts fast den Atem nimmt. Immerhin versuche ich, nach dem Mittagessen um sechs Uhr den Sonnenaufgang zu sehen - den Untergang verpasse ich ja im Schlaf. Obwohl wir bestimmt 1000 Kilometer vom Land entfernt sind, gibt es doch immer wieder Tiere zu sehen. So habe ich einen Wal beobachtet, der sich aber sehr ruhig verhielt. Dann war neben dem Schiff ein Schwarm grauer Vögel, die nach kurzer Zeit auf dem Wasser landeten und sofort darin verschwanden! Das waren nämlich fliegende Fische, die es hier recht häufig gibt. Nachts konnte man in der Gischt des Fahrwassers leuchtende Punkte beobachten, viel größer als beim sommerlichen Meeresleuchten in der Nordsee. Seit wir auf Station liegen, kommen nachts neugierige Tintenfische zum Schiff. Die Köche haben schon einige von ihnen gefangen.

Auch von der Welt draußen kommt auf dem Schiff kaum etwas an. Dass heute Sonntag ist, habe ich nur aus Versehen bemerkt. Wochenende gibt es hier nicht. Zwar gibt es jeden Tag mehr als zwanzig Seiten amerikanische Agenturmeldungen. Die interessieren aber kaum jemanden. So etwas wie Olympia oder Karneval spielt auf dem Schiff keine Rolle. Statt dessen bekommen wir täglich bedrohliche e-mails von den Shellbacks (denen, die den Äquator schon auf einem Schiff überquert haben und einen entsprechende Nachweis haben). Es hängen auch Photos mit grauslichen Szenen aus. Für die Erstüberquerer (Pollywogs) ist nämlich bei der Überquerung des Äquators ein schrecklich-brutaler Initiationsritus angesagt, über den ich das nächste Mal berichten werde.

Ich habe viele Fotos und einige Filmaufnahmen gemacht. Die ersten fünf Bilder habe ich heute mit Namen und Legenden versehen und an den Staff Scientist geleitet. Vielleicht werden sie in der nächsten Woche auf der ODP-Homepage sein.

So viel für heute - viele liebe Grüße

Heribert